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Nachrichten aus Baden für Baden - Für Sie in der Region unterwegs

In der Freiburger Bahnhofsmission herrscht immer ein Kommen und Gehen – eine große Palette menschlichen Lebens versammelt sich hier

Bahnhofsmissionen sind Orte unbürokratischer Beratung und niederschwelliger Hilfe, letzte Rückfalllinie im sozialen Netz und Drehscheibe in weiterführende Hilfseinrichtungen.

Die erste evangelische Bahnhofsmission wurde 1894 in Berlin durch den Pfarrer Johannes Burckhardt am heutigen Ostbahnhof gegründet. Ursprünglich wurde sie eingerichtet, um Frauen Schutz und Hilfe zu bieten, die im Zuge der Industrialisierung in die Städte zogen.  Bahnhofsmissionen unterbreitet in aller erster Linie ein personales Angebot. Sie bietet jedem Menschen Unterstützung, Beratung, Begleitung und Vermittlung an und das unabhängig von Geschlecht, Alter, Konfession, Nationalität und sozialem Status. In Deutschland gibt es mit derzeit rund 100 Bahnhofsmissionen, sie stellen ein dichtes, historisch gewachsenes Netz, das nicht wegzudenken ist.

Die Mitarbeit in einer Bahnhofsmission bedeutet jeden Tag Gutes zu tun und anderen zu helfen

Ich besuche die Bahnhofsmission in Freiburg – an Gleis 1 ganz hinten Richtung Planetarium gelegen. Gerade bei meinem Eintreten wird gefragt, wer spontan in den Europa Park gehen möchte, und zwar am gleichen Tag, sozusagen sofort. Zu meinem Erstaunen meldet sich niemand der mehreren Anwesenden. Später erfahre ich bei meinem Gespräch mit Sarah Gugel (evangelische Leiterin seit 7 Jahren) und Robert Klebes (katholischer Leiter seit Frühjahr 2023), dass auch Arbeitsuchende und Drogenabhängige ihre festen Tagesabläufe und Strukturen haben, da passt es nicht unbedingt, spontan in den Freizeitpark zu gehen, um dort den Tag zu verbringen.

Sarah Gugel (evangelische Leiterin seit 7 Jahren) und Robert Klebes (katholischer Leiter seit Frühjahr 2023)

In der Freiburger Bahnhofsmission fühlt es sich an, wie in einem großen Wohnzimmer mit Kaffeehaus-Atmosphäre. Etwa 100 bis 130 Kontakte finden hier an Gleis 1 täglich statt, 80 Prozent seien regelmäßige Besucher, manche davon seit vielen Jahren und knapp 200 Gäste finden sich immer wieder gerne ein. „Manche der Notlagen dauern nur wenige Monate an, dann verändert sich die Situation, ein Wendepunkt im Leben des Gastes kommt und ein Leben ohne Bahnhofsmission kann fortgeführt werden“, sagt Sarah Gugel. Manche Gäste kommen intensiv dreimal täglich, auch das sei völlig in Ordnung. Die Bahnhofsmission ist mit der Wohnungslosenhilfe vernetzt.

3.770 Stunden ist die Bahnhofsmission Freiburg im Jahr geöffnet - 7.500 ehrenamtliche Arbeitsstunden werden geleistet

Das Wichtige für meine beiden Gesprächspartner ist allemal den Menschen unkompliziert helfen zu können, mit Zuhörern, heißem Kaffee oder Tee und liebevoll zubereiteten Broten. Schmalz- oder Marmeladenbrote und auch mit veganem Aufstrich. Die Gäste dürfen sich ihren Favoriten aussuchen, der dann auf Bestellung bestrichen und serviert wird. Dabei wird auf gute Qualität geachtet. Gerade dieser Tage haben die Malteser über 400 Gläser selbstgemachte Marmelade an die Bahnhofsmission Freiburg gespendet. Die Malteser setzen damit beispielsweise ihre langjährige Unterstützung für die Bahnhofsmission Freiburg fort.

Manchmal gerate das Leben aus der Spur. Dann brauchen Menschen Hilfe. „Wir von der Bahnhofsmission helfen jedem, gratis und sofort“, sagt Robert Klebes. Niemand muss sich anmelden, Voraussetzungen erfüllen oder seinen Namen nennen. Das gilt zum Beispiel auch auf Reisen, mit Auskünften und Unterstützung bei der Verständigung. Beim Ein-, Aus- und Umsteigen. Mit Aufenthaltsmöglichkeit, Begleitung oder Rollstuhl. Oder in akuten Nöten: Kleidung kaputt. Kein Telefon. Ohne Schlafplatz. Hungrig. Durstig. Bestohlen. Verletzt. Krank. Schwach. Sowie in existenziellen Notlagen: Wohnungslos. Süchtig. Krank. Verarmt. Verzweifelt.

Hohe Zunahme an Gästezahlen

27 Quadratmeter groß ist der Gastraum, das Wohnzimmer – eine Vergrößerung mit einem Lagerraum wäre wünschenswert, heißt es. Nach der Pandemie, mit Ukrainekrieg und jetzt im Winter, nehmen die Gästezahlen stetig zu. Die Inflation mit den teuren Preisen und die angespannte Lage am Wohnungsmarkt machen sich überdies bemerkbar. Dass es sich bei der Bahnhofsmission um ein „Ganzjahres-thema“ handelt, versteht sich von selbst. Im heißen Sommer dreht sich viel um Mineralwasser und Obst, das verteilt wird, jetzt um wärmende Schlafsäcke und der damit verbundenen Aktion „Wärme für Freiburg“.

Insgesamt gibt es deutlich mehr männliche Gäste als weibliche, was Sarah Gugel damit begründet, dass Frauen der Wohnraum existenziell wichtig ist und sie sich zuerst einmal Hilfe im eigenen Netzwerk holen oder dafür oftmals Ausbeutung oder Gewalt in Kauf nehmen.

Gearbeitet wird hier in Freiburg im Haupt- und Ehrenamt, Nähe und Distanz sind bei allen die vorherrschenden Themen. Das gesamte Team trifft sich einmal monatlich, ansonsten findet der kollegiale Austausch zwischen Tür und Angel statt. Supervisionen gibt es überdies auch für das Ehrenamt. Etwa zwei Monate beträgt die Probezeit für Ehrenamtliche zur Einarbeitung, „denn das Ehrenamt soll auch nicht in den privaten Bereich schwappen“, so Robert Klebes. Der Job ist belastend, der Umgang muss gelernt werden. Oft kämen Studierende um zu unterstützen, gesucht wird hier immer, denn die Arbeit geht nicht aus, sondern wird mehr und mehr. Es gibt aber auch Ehrenamtliche, die seit 25 Jahren dabei sind. Aktuell, so wird mir erzählt, gibt es zwei Dutzend Ehrenamtliche, die Hälfte von ihnen sind unter 30 Jahren und es sind mehr Frauen als Männer. „Die freiwillig Tätigen bekommen unsere Anerkennung, wir nehmen diese Unterstützung wahr und sind dankbar für die Arbeit. Kostenlose Fort- und Weiterbildungen, Adventsfeier, Sommerfest oder der erste Hilfe Kurs: mit vielen kleinen Dingen wird das Ehrenamt geschätzt“.

„Die psycho-soziale Arbeit, die wir hier tagtäglich leisten, ist sehr herausfordernd, da ist eine fachliche Vorbereitung und kontinuierliche Begleitung wichtig“ “, ergänzt Sarah Gugel.
Um auf die Bahnhofsmission Freiburg aufmerksam zu machen, wird zudem im 3-Schicht-System am Bahnhof gelaufen und dabei gezielt mit offenen Augen und Ohren.

Die Bahnhofmission Freiburg besteht seit 120 Jahren

Auf meine Fragen nach den Wünschen, antwortet Robert Klebes folgendes: „Ich würde gerne das Ehrenamts-Team erweitern und hier quantitativ vorankommen und für 2024 das Level erhöhen.“ Sarah Gugel antwortet: „Das unterstreiche ich, denn anstatt zwei Ehrenamtlicher, wären drei im Team besser. Für Lebensmittel haben wir bereits jetzt 50 Prozent mehr als in der Budgetplanung vorgesehen, ausgegeben. Somit wäre eine finanzielle Unterstützung auch sehr schön“. Zuschüsse erhält die Freiburger Bahnhofsmission von der Stadt Freiburg und den Kirchen, sowie viele Spenden.

Mit IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit in der Erzdiözese Freiburg e. V. und der Evangelischen Stadtmission Freiburg e. V. stehen zwei erfahrene und profilierte Träger hinter der Freiburger Bahnhofsmission. Auch in Zukunft soll in ökumenischer Verbundenheit dafür gesorgt werden, dass niemand auf der Strecke bleibt am Bahnhof.  3.770 Stunden ist die Bahnhofsmission Freiburg im Jahr geöffnet, 7.500 ehrenamtliche Arbeitsstunden werden geleistet. Chapeau! Und am 21. Dezember folgt noch ein weihnachtliches Highlight, denn die Schwarzwälder Flammkuchen Manufaktur spendet für die Gäste Flammkuchen. Und dann kommt ja auch noch Heiligabend und die Aktion der DB-Stiftung, die in diesem Jahr 70 Wünsche der Gäste erfüllen wird. Die DB netze AG hatte bereits 2020 den Freiburger Bahnhof für diese Idee herausgesucht, jetzt noch einmal. Und in der aktuellen Adventszeit gibt es täglich das „Adventslesen“ mit einem kleinen Vorleserunde bei Tee und Kerzenschein – das ist schon traditionell in der Freiburger Bahnhofsmission. Es versteht sich glaube ich von selbst, dass hier, an diesem Ort eine hohe Solidarität herrscht bei den Gästen, die den Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen ein hohes Ansehen zollen.

Text/Fotos: Heike Scheiding

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