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Nachrichten aus Kunst & Kultur

Réceptacle - Talents Contemporains, 10. Ausgabe

Ausstellung „Réceptable“ in Zusammenarbeit mit dem Preis Talents Contemporains in Wattwiller - Frankreich

Die Ausstellung „Réceptacle“ präsentiert Werke von den 4 Preisträger:innen der 10. Ausgabe der Auszeichnung Talents Contemporains. Diese Auszeichnung ist ganz dem Thema des Wassers gewidmet und hebt KünstlerInnen der europäischen und internationalen Kunstszene hervor, deren Arbeiten sich mit diesem Thema auseinandersetzten. Heute bilden mehr als 95 Kunstwerke die Sammlung von Talents Contemporains. Diese Werke werden in der Fondation François Schneider oder auf Wanderausstellungen ausgestellt.

Sidorenko-Dutca

(c) Fondation Schneider, Sidorenko

Das Werk InventaRios entfaltet sich wie eine große Installation, es ist das Ergebnis mehrerer Aufenthalte in Brasilien und die Darstellung einer langen Untersuchung an der Schnittstelle von Kunst und Soziologie. 56 Tontöpfe, traditionelle Behälter aus den Dörfern des Sertão, wurden mit Notizbüchern und einer Zeichnung des Flusses kombiniert und hinterfragen die Beziehung zum Wasser in dieser Region Brasiliens, insbesondere die Toponymie des Flusses. Elvia Teotski präsentiert ein skulpturales Werk, Spleen Microbien 2.0, in dem 200 kleine versteinerte Agar-Agar-Säulen an Schimmel, die Kraft der Materie, die Verdunstung des Wassers und das Leben, das sich in den Mikroorganismen abspielt, erinnern. Auch Bianca Bondi interessiert sich für ein ungewöhnliches Material – in diesem Fall Salz. Sie verwandelt einen kleinen Hocker in einen heiligen Brunnen, in den jeder seine Opfergaben werfen kann. The Wishing Well II, eine Schatztruhe, ein Gefäß für viele Geschichten, barock und raffiniert, mit Salzkruste überzogen, ist ein Zeuge unserer Wünsche und eine Hommage an die Brunnenkunst. Das Kollektiv Dutca-Sidorenko wiederum fotografiert die Legende eines Amphibienwesen in einem Fluss und präsentiert eine Form moldawischer Folklore mit einem Hauch von Burleske und Fantasie. Die Künstler:innen integrieren die Thematik des Wassers in ihren Werken, indem sie mit dem Behälter – als Metapher oder als reales Objekt – arbeiten: Es handelt sich um Gefäße für Geschichte, Glaubenskulturen, Materien, für verstecktes Lebensformen und vieles mehr. 

Sidorenko-Dutca

(c) Fondation Schneider, Sidorenko

Kollektiv EthnoGraphic

Geboren 1957, 1978 und 1979 in Juiz de Fora (Brasilien), Ploemeur und Caen (Frankreich). Leben und arbeiten zwischen Frankreich und Brasilien

„Die Begegnung mit ...“: Das ist der Ansatz des Kollektivs EthnoGraphic, das Emilie Renault und Ghislain Botto im Jahr 2010 gründeten. Als Mittel der Annäherung nutzt das Kollektiv die Ethnografie und teilnehmende Beobachtungen und verbindet diese mit einer transdisziplinären zeitgenössischen Kunstproduktion. Ihre Werke sind Orte des öffentlichen Raums, die dem kollektiven Experimentieren gewidmet sind, um Debatten anzustoßen, Werkzeuge bereitzustellen und zu vermitteln. Die brasilianische Keramikerin Letícia Panisset schloss sich dem Kollektiv im Jahr 2017 beim Projekt FazerViver an.

Das Werk InventaRios ist die Zusammenfassung eines umfassenderen Projekts, FazerViver, das Keramik, Video und Papierdruck miteinander verbindet und die Form einer Landschaft annimmt. Der Titel bedeutet sowohl „Inventar Rio“ als auch „Inventariar Rios“, kann also als Bezeichnung des Flusses oder als Inventarisierung seines Einzugsgebiets gelesen werden.

Im Rahmen dieses Projekts hat das Kollektiv EthnoGraphic drei Jahre lang die Lebensweisen im Sertão, einer abgelegenen Region in Minas Gerais in Brasilien, untersucht. In dieser Region, die für ihren Eisenreichtum bekannt ist, wurde ein groß angelegtes Straßenbauprojekt gestartet, das durch ein winziges Dorf führte und zukünftige Veränderungen mit sich brachte. Die alten Fertigkeiten der Bewohner:innen drohten sich zu verändern. Gleichzeitig sorgten sich die Bewohner:innen um das allmähliche Verschwinden der Gewässer in der Region. Das aus Letícia Panisset, Ghislain Botto und Emilie Renault bestehende Kollektiv reiste mit einer Karte durch das gesamte Capivari-Becken und bat die Bewohner, die anonymen Wasserläufe auf der Karte zu benennen, während sie zugleich zahlreiche Geschichten aufzeichneten, die mit dem Wasser verbunden waren. Nach und nach entstand eine sensible Kartografie des Flusses und seiner Nebenflüsse, an der man die intimen Erfahrungen der Bewohner mit ihren Wasserläufen ablesen kann. Nicht weniger als 93 verschiedene Arten, das Wasser zu benennen, wurden festgehalten: „mein Wasser“, „ein so schönes Wasser“, „Wasser, das regnet“ oder auch „Wasser, das mein Haus wieder versorgt“. Im Laufe der Begegnungen und der individuellen Erzählungen zeichnet sich ein allmähliches Verschwinden der Wasserläufe ab. Die Installation besteht aus einer Reihe von 56 Keramiktöpfen, 56 Notizbüchern, die den Fluss und seine Bezeichnungen illustrieren, einer großen Wandzeichnung und einem Film besteht und bildet somit ein neuartiges soziokünstlerisches Zeugni

Kollektiv EthnoGraphic, InventaRios, 2019. Wandzeichnung, 56 Keramiktöpfe, Edition von 56 Blöcken, Film von 16 min, variable Abmessungen.

Elvia Teotski

Geboren 1983 in Toulouse (Frankreich) | Lebt und arbeitet in Marseille (Frankreich)

Elvia Teotski, ausgebildete Agrarwissenschaftlerin und insbesondere in exotischen, heißen Regionen tätig, verlagert ihre Agrardiagnosen und ihre Erkundung der Welt in ihre künstlerische Praxis und verwandelt ihr ursprüngliches Forschungsgebiet in ein Atelier unter freiem Himmel. Die Künstlerin, die aus einer Familie stammt, in der das Landleben zum Alltag gehörte, hält Ausschau nach Kleinigkeiten, Staub und Rückständen und scheint von der Vermehrung und Kontamination sowie der schnellen Verbreitung von Bakterien fasziniert zu sein.

Die Verbindung von Agrarwissenschaft und zeitgenössischer Kunst, die genaue Kenntnis von Böden, Landwirtschaft, Biotopen und ländlichen Gebieten sowie die handwerklichen und wissenschaftlichen Methoden, mit denen Elvia Teotski kreativ tätig ist, ermöglichen ihr seit etwa zehn Jahren eine subtile Arbeit, in der sie Materialien und organische Substanzen hinterfragt und versucht, deren Grenzen zu erweitern.

Die Künstlerin stützt sich auf rohe, einzigartige, natürliche und unbeachtete Materialien aus ihrer Umgebung und verwendet Bakterien, Algen, Schlamm, aber auch Lebensmitteldrucke, Kartoffeln, Kupfersulfat, Agar-Agar oder andere natürliche oder chemische Verbindungen in ihren Werken. Auf diese Weise entstehen neue Formen und Objekte, die Fragen der Metamorphose, der Proliferation und der Dekonstruktion aufwerfen. Die Materialien halten der Zeit stand, sind aber gleichzeitig dem Verfall oder der Fäulnis unterworfen. Die Künstlerin konzentriert sich auf Pflanzen und Erde, Mineralien, die Toxizität bestimmter Substanzen und die Kontamination von Wasser und Böden und entwickelt so einen Korpus, in dem die menschliche Figur auf den ersten Blick unsichtbar scheint. Auf subtile Weise, mit Positionen, die sowohl politisch als auch ökologisch, poetisch und metaphysisch sind, hinterfragt die Künstlerin die Spuren des Menschen in der Landschaft.

Ihre Installation aus 200 Agar-Agar-Säulen formt einen wie in Zeit stehengebliebener Wald aus kleinen Skulpturen mit wurzel- oder pilzähnlichen Silhouetten. Im Inneren dieser Formen setzen sich wahrscheinlich Tätigkeiten von Mikroorganismen fort, wobei die Mikroben selbst „kleine Leben“ sind. Elvia Teotski setzt sich in ihren Werken mit den Begriffen Zyklus und Übergang auseinander, denn sie haucht verwitterten Materialien neues Leben ein. Sie spricht aber auch von der Schwierigkeit, giftige oder schädliche Elemente wiederzuverwerten. Können wir uns erlauben in aktuellen Krisenzeiten diese Elemente weiterzuverwenden oder nicht? Kann neues Leben entstehen und unsere Gewissheiten dekonstruieren?

Elvia Teotski, Spleen microbien 2.0, 2020. 200 Säulen dehydriertes Agar-Agar, 1000 × 30 cm.

Dutca-Sidorenko (Kollektiv)

Geboren 1995 in Bender (Moldawien) und Gornyak (Russland) Leben und arbeiten in Bender (Moldawien)

Carolina Dutca arbeitet mit Fotografie, Video, Installation und Text. Ihre künstlerischen Projekte beschäftigen sich mit den Themen Beziehungen, Zuhause, Natur und Erinnerung. In Zusammenarbeit mit Valentin Sidorenko spielt sie mit dem Thema Zeit. Die beiden erinnern sich an Märchen, die Kindheit und die Bosheit. Valentin Sidorenko arbeitet neben der Fotografie und Animation auch mit Dokumentarfilmen.

Magische Seerosen, eine Amphibienkreatur, eine ehemalige Wissenschaftlerin im Stil einer Babuschka und gehäkelte Teppiche in einem Fluss – das sind die Kulisse und die Protagonisten des Märchens, das uns das moldawische Duo Dutca-Sidorenko erzählt. In Form eines visuellen Märchens widmet das Künstlerduo seine zweite gemeinsame Arbeit dem Fluss Dniester, der in den Karpaten entspringt und in das Schwarze Meer mündet. Carolina Dutca stammt aus Bender, einer kleinen Stadt in der Nähe des Flusses, und möchte verschiedene Probleme im Zusammenhang mit dem Fluss ansprechen, wie z. B. den exzessiven Sandabbau, verlassene Schiffe, Überschwemmungen, die das Land erodieren, und Mülldeponien. Bei ihren Recherchen über die Geschichte Transnistriens, einer moldauischen Region am Rande der Ukraine, entdeckten die Künstler:innen, dass die Weiße Seerose eine vom Aussterben bedrohte Art ist. Ihre Begegnung mit Elena Nikolaevna, einer ehemaligen Biologielehrerin, die von den geflüsterten Geschichten ihrer Kindheit über eine verschwundene Amphibienwelt fasziniert war, veranlasste sie dazu, eine neue Legende zu erschaffen, die Legende von „Apă“. Gemeinsam erfinden sie eine Geschichte, in der bunte, bestickte Teppiche, Statisten in extravaganten Kostümen, synthetische Seerosen und gestrandete Froschmenschen in eine missbrauchte und verlassene Natur eingebettet sind. Elena Nikolaevna wird zusammen mit dem amphibischen Wesen, das sie Apă (moldawisch für „Wasser“) getauft hat zur Protagonistin ihrer eigenen Geschichte. Die ehemalige Biologin sammelt mit Apă die Abfälle, die das Wasser des Flusses verschmutzen, um daraus „magische“ Teppiche zu machen. Das Ergebnis ist eine Sammlung von 15 surrealen, burlesken, fröhlichen und traumhaften Fotografien, in denen sich in der Tradition eines Volkstheaters eine Reihe von Figuren und Szenen entfalten.

Dutca-Sidorenko (Kollektiv), Apă, 2020. Fotografien, 15 × (60 × 50) cm.

Bianca Bondi

Geboren 1986 in Johannesburg (Südafrika) | Lebt und arbeitet in Île-de-France (Frankreich)

Bianca Bondi kam vor über 15 Jahren aus ihrem Heimatland Südafrika nach Frankreich, mit dem Wunsch, einen Kunstbetrieb zu leiten und vorab mit künstlerischen Praktiken zu experimentieren, um das Metier zu verstehen. Sie absolvierte ihr gesamtes Studium an der École Nationale Supérieure d’Art de Paris-Cergy (DNSEP im Jahr 2012), wobei sie eine Vielzahl von Medien und Lehrfächern studierte. Ein Aufenthalt in der Bandjoun Station, einem von dem Künstler Barthélémy Toguo konzipierten und eingerichteten Forschungs- und Schaffensort auf den Hochebenen im Westen Kameruns, begann sie 2011, sich wieder mit Salz zu beschäftigen und verliebte sich in diese weiße, krümelige, würzige, kristallisierte Substanz. Dieses Salz steht im Mittelpunkt von Praktiken und Ritualen, die in den umliegenden Wäldern abgehalten werden, und knüpft an ihre ersten Einweihungen in die Magie an, die sie als Kind praktizierte, um mit nahestehenden Geistern in Verbindung zu treten.

In ihren lebhaften Stillleben, Anspielungen auf die Kunst der Vanitas, in denen Algen, Bakterien, Spirulina, Pigmente und Pflanzen neben Skeletten, Edelsteinen und präparierten Tieren stehen, integriert Bianca Bondi andere Leben als das menschliche und öffnet den Blick auf nicht greifbare Welten.

Das Salz wird wie ein Balsam aufgetragen, der gleichzeitig schützt und reinigt. Die balsamierten Gegenstände werden in Wasser getaucht und es bilden sich Kristallkrusten, die ihnen neues Leben verleihen. Ein Ritual der Reinigung, der Taufe und der Wiedergeburt. Bianca Bondi erschafft schwimmende, unwirkliche, gespenstisch anmutende Welten mit einem Material, das sie zwar beherrscht, das aber auch immer Überraschungen bereithält. Indem sie Gegenstände recycelt, die sie auf verschiedenen Grundstücken oder Trödelmärkten gefunden hat und besondere Flüssigkeiten mischt, die erstaunlichen chemischen Farbreaktionen bilden, möchte die Künstlerin ihren Werken besondere Energien einhauchen und wohlwollende Auren erzeugen. Die neuen Hüllen, die ihre Objekte überziehen, verschwinden und wieder auftauchen, stellen die Frage nach dem Bestand und der Flüchtigkeit der Welt. Der hier gezeigte Wishing Well II ist eine Hommage an die Brunnenkunst und die Tradition der Brunnen, in denen den Göttern oft mit Münzen oder anderen Wertsachen gedankt wurde. Dies geschah in der Regel nach einer Heilung, dem Zugang zu frischem Wasser oder einer anderen Verbesserung des Alltags. So wird dieser kleine Hocker in seinem Atelier zu einer Opferkiste, einer Schatztruhe, in der Pflanzen und Muscheln versteckt sind, die ihm ein barockes Aussehen verleihen, wie in einer esoterischen Höhle

Vernissage Herbst 2022
am 14. Oktober 2022 um 18 Uhr
Fondation François Schneider
27, Rue de la Première Armée - 68700 Wattwiller - Frankreich
www.fondationfrancoisschneider.org

Wattwiller liegt in der Nähe von Mulhouse und ist von Freiburg i.Br. in einer Autostunde erreichbar.

 

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