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Prävention im Alltag für die Gesundheit

 | Henrik Schwiedeßen

Gesundheit ist unser wichtigstes Gut – und doch beeinflussen Faktoren des Lebensstils wie Ernährung, Bewegung und Rauchen maßgeblich das Risiko für Volkskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das NAKO Studienzentrum Freiburg leistet mit der größten deutschen Gesundheitsstudie einen bedeutenden Beitrag zur Präventionsforschung. Im Gespräch mit Frau Dr. Jasmin Kiekert und Frau Prof. Dr. Anna Köttgen erfahren wir, welche Erkenntnisse die Studie liefert und wie wir selbst zur Erhaltung unserer Gesundheit beitragen können.

Henrik Schwiedeßen

Für Henrik Schwiedeßen steht der Mensch – und die Menschlichkeit – im Mittelpunkt jeder gesundheitlichen Entwicklung. Auf dem Weg zu einem gesunden Leben ist Kommunikation weit mehr als nur Informationsvermittlung: Sie schafft Verbindung, Vertrauen und ist der Grundstein für Gesundheit.
Als Gründer von valebis – Kommunikation für Gesundheit bringt er seine langjährige Erfahrung aus leitenden Positionen in renommierten Agenturen in Freiburg ein. Henrik Schwiedeßen ist spezialisiert auf Gesundheitskommunikation und bereitet medizinische Inhalte verständlich, empathisch und strategisch fundiert auf – für Fachkreise wie auch für Patient:innen.
Mit seiner Expertise begleitet er Unternehmen der Gesundheitsbranche dabei, ihre Kommunikation glaubwürdig, menschlich und wirkungsvoll zu gestalten

Henrik Schwiedeßen: Ein ungesunder Lebensstil mit wenig Bewegung und unausgewogener Ernährung wird oft als Hauptursache für viele Volkskrankheiten genannt. Welche Lebensstilfaktoren haben den größten Einfluss auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes?

Dr. Jasmin Kiekert: Drei wesentliche Aspekte des Lebensstils haben einen großen Einfluss, was sich auch in anderen Studien immer wieder zeigt: erstens zu wenig Bewegung, zweitens eine ungesunde und unausgewogene Ernährung und drittens Nikotinkonsum. Alle drei zusammen sind für die so genannten Volkskrankheiten, zu denen auch Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen, von wesentlicher Bedeutung. Die NAKO-Gesundheitsstudie möchte diesen Zusammenhängen vertieft nachgehen.

Henrik Schwiedeßen: Rauchen steht in direktem Zusammenhang mit einer Vielzahl schwerwiegender Gesundheitsprobleme. Warum erhöht Rauchen das Risiko für Herz-Kreislauf- Erkrankungen?

Dr. Jasmin Kiekert: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass es viele direkte Effekte von Nikotin und anderen Giftstoffen gibt, die sich nicht erst nach vielen Jahren zeigen, sondern unmittelbar eintreten und messbar sind, wie ein erhöhter Puls. Es gibt eine Vielzahl direkter und indirekter Mechanismen, wie Rauchen das Herz-Kreislauf-System schädigt. So schädigt Rauchen beispielsweise die Blutgefäße und begünstigt einen Verschluss der Gefäße. Dies wiederum kann zu Durchblutungsstörungen in den Extremitäten, also in Armen und Beinen, sowie im Herz und Gehirn führen, was einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall begünstigt. Darüber hinaus wird der Herzmuskel durch Rauchen weniger mit Sauerstoff versorgt, was zu einer Herzschwäche, sprich einer Herzinsuffizienz, beitragen kann.

Henrik Schwiedeßen: Wie viel und welche Art von Bewegung ist notwendig, um das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken?

Dr. Jasmin Kiekert: Aus Studien wissen wir, dass die regelmäßige körperliche Aktivität ein wirksames Mittel zur Vorbeugung von Diabetes und zur Behandlung von Prädiabetes, der Vorstufe der „Zuckerkrankheit“, ist. Körperliche Aktivität bietet vielerlei Vorteile: Sie unterstützt die Gewichtskontrolle und fördert die Herz-Kreislauf-Gesundheit. Außerdem, gerade für Diabetiker von Relevanz, sorgt Bewegung im Alltag dafür, dass der Blutzucker stabiler auf einem gesunden Niveau bleibt. Verantwortlich dafür ist das Hormon Insulin und körperliche Aktivität verbessert nachweislich seine regulierende Wirkung. Empfehlenswert sind jede Woche mindestens 2,5 bis 3 Stunden mäßig intensive körperliche Aktivität – daher ist es bereits ein guter Anfang, täglich ungefähr 30 Minuten aktiv zu sein. Sie könnten beispielsweise eine Viertelstunde spazieren gehen und die Dauer dann kontinuierlich erhöhen. Auch Radfahren und Schwimmen eignen sich sehr gut.

Henrik Schwiedeßen: Eine bewusste und ausgewogene Ernährung trägt zur Vorbeugung vieler Krankheiten bei. Welche Ernährungsweisen sind besonders effektiv zur Prävention von Volkskrankheiten?

Dr. Jasmin Kiekert: Um Volkskrankheiten effektiv begegnen zu können und sie idealerweise gar nicht erst entstehen zu lassen, kann eine Ernährung mit wenig Fett, Zucker und Salz hilfreich sein. Wir wissen aus anderen Studien, dass pflanzliche Kost vorbeugend gegen Typ-2-Diabetes wirken kann. Ballaststoffe tragen zu einem ausgeglichenen Zucker- und Fettstoffwechsel bei und können die Wirkung von Insulin verbessern. Empfohlen wird, täglich Ballaststoffe von ungefähr 1.000 Kalorien aufzunehmen. Das können zwischen 15 und 30 Gramm eines ballaststoffreichen Lebensmittels sein. Eine gute Orientierung bietet generell die mediterrane Küche. Wichtig zu erwähnen sind die versteckten Fette, die ein Risiko bergen. Wurst hat einen sehr hohen Fettanteil, weswegen Fleisch und Wurst daher nicht täglich gegessen werden sollten. Zahlreiche Käsesorten sind ebenfalls sehr fetthaltig und führen zu einer hohen Kalorienaufnahme. Bei Fleisch, Wurst und Käse sollte man somit fettärmere Sorten bevorzugen. Cola, Limonaden, Energydrinks und Fruchtsäfte sind häufig sehr zuckerhaltig und ein wesentlicher Faktor für Übergewicht und Adipositas, sodass diese Getränke nur in geringen Mengen und nicht täglich konsumiert werden sollten. Zu empfehlen sind hingegen mindestens 1,5 Liter Wasser oder ungesüßter Tee am Tag.

Henrik Schwiedeßen: Welche Rolle spielt das Körpergewicht in der Entstehung von Herz- Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes?

Dr. Jasmin Kiekert: Zahlreiche Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Adipositas, also Fettleibigkeit, und Übergewicht in Bezug auf Diabetes und Herz- Kreislauf-Erkrankungen. Neben einer genetischen Veranlagung für Diabetes und Übergewicht ist auch hier die Ernährung ein mitbestimmender Faktor. Bevor ein Diabetes oder eine Herz-Kreislauf-Erkrankung diagnostiziert wird, liegen häufig viele Jahre zuvor  schon auffällige Blutwerte und Übergewicht vor. In der Medizin spricht man vom Metabolischen Syndrom, wenn vier einzelne Symptome gemeinsam auftreten: eine Insulinresistenz, Übergewicht, schlechte Cholesterinwerte in Form eines zu hohen LDL- Cholesterins und eines zu geringen HDL-Cholesterins, plus Bluthochdruck. Diese Störungen müssen zunächst nicht alle gemeinsam vorhanden sein. Schon jedes einzelne dieser vier Symptome bringt ein erhöhtes Risiko für einen Typ-2-Diabetes und für Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit sich.

Auch die NAKO-Studie zeigt das häufige gemeinsame Auftreten dieser vier Risikobereiche. Sie scheinen eng miteinander verknüpft, was auf eine gemeinsame Ursache hinweisen könnte. Das Metabolische Syndrom gilt als Vorstufe des Typ-2-Diabetes. Vor allem eine übermäßige Fettansammlung im Bauchbereich scheint dabei eine bedeutende Rolle zu spielen. Da sich das Metabolische Syndrom nur langsam entwickelt, wird es oft über viele Jahre hinweg nicht erkannt. Für alle vier Kriterien des Metabolischen Syndroms lassen sich im Übrigen familiäre Häufungen feststellen. Die Ursache liegt jedoch nicht in einem einzelnen Gen, sondern es wirken Veränderungen in vielen Genen zusammen. Die einzelnen „vererbten“ Komponenten des Metabolischen Syndroms können in Kombination mit äußeren Einflussfaktoren noch weiter verstärkt werden, zum Beispiel mit der eingangs erwähnten unausgewogenen und zu kalorienreichen Ernährung, dem Mangel an körperlicher Aktivität und dem Rauchen. Studien zufolge steigt das Risiko, an Diabetes zu erkranken, bereits ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 kg/m2 an. Im Vergleich zu normalgewichtigen Personen mit einem BMI unter 25/m2 ist das Risiko bei einem BMI von 25 drei- bis vierfach erhöht und bei Adipositas, also einem BMI über 30, sogar um das Dreißigfache

Henrik Schwiedeßen: Welche Strategien helfen dabei, Stress zu reduzieren und so das Risiko für Volkskrankheiten zu senken?

Dr. Jasmin Kiekert: Anhaltender Stress kann sich negativ auf das Herz-Kreislauf-System und den Blutzuckerspiegel auswirken. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Stress den Blutzuckerspiegel steigen lässt. Stressreduktion ist daher ein elementarer Baustein der körperlichen Gesundheit: Wesentlich sind Pausen und Auszeiten, in denen wir nicht kommunikativ sein müssen, also Zeit ohne Handy und keine permanente Verfügbarkeit. Entspannungstechniken wie Pilates oder Progressive Muskelentspannung sind dabei sehr hilfreich. Auch durch kann man dem Stress im Alltag entgegenwirken. Oder man liest einfach ein Buch – hier hat jeder seine eigene Methode, um sich zu entspannen.

Dr. Jasmin Kiekert ©Universitätsklinikum Freiburg

Henrik Schwiedeßen: Die NAKO-Gesundheitsstudie untersucht, wie individuelle und gesellschaftliche Faktoren die Gesundheit beeinflussen. Konnte man Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Diabetes erkennen?

Dr. Jasmin Kiekert: Die NAKO ist die größte Gesundheitsstudie in Deutschland, eine Langzeitstudie mit mehreren Untersuchungsphasen, bei der wir die zweite Phase erst Mitte des letzten Jahres bgeschlossen haben. Somit haben wir erst jetzt aussagekräftige Daten, um diese wichtigen Fragen genauer zu erforschen. Die Erhebung der Daten und deren Auswertung sind zwei unterschiedliche Schritte. Dennoch können wir im Hinblick auf Ernährung, auf Herz-Kreislauf- Erkrankungen und auf Diabetes sehen, dass gesellschaftliche Faktoren wie Bildung und Einkommen einen Einfluss auf die Ernährung haben – und somit auch auf die Gesundheit. Wir haben durch die NAKO-Studie die Möglichkeit, Ergebnisse aus körperlichen und Laboruntersuchungen zum Beispiel mit den Angaben zu Bildung und Einkommen in Verbindung setzen zu können, was uns erste Hinweise darauf liefern kann.

Henrik Schwiedeßen: Welche Untersuchungen sind besonders sinnvoll, um das Risiko für Volkskrankheiten frühzeitig zu erkennen?

Dr. Jasmin Kiekert: Die klassischen Gesundheitschecks beim Hausarzt bieten eine gute Grundlage, gerade im Hinblick auf eine frühzeitige Erkennung beispielsweise des Metabolischen Syndroms oder anderer Erkrankungen mit großem Risikopotenzial, etwa einer beginnenden Nierenerkrankung. Des Weiteren sind die Vorsorgeuntersuchungen im Bereich der Krebserkrankungen zu nennen, insbesondere, aber nicht nur, wenn in der Familie bereits Krebserkrankungen aufgetreten sind. Dies gilt für Männer und Frauen in gleichem Maße. Denn je früher eine Erkrankung erkannt wird oder sie sich andeutet, umso mehr Möglichkeiten bestehen, der weiteren Entwicklung der Erkrankung vorzubeugen oder ihr aktiv entgegenzuwirken. Wir hoffen, dass wir durch die NAKO-Gesundheitsstudie auch im Bereich der Früherkennung durch verfeinerte Analyseverfahren einen wichtigen Beitrag für zukünftige Vorsorgeverfahren leisten können.

Henrik Schwiedeßen: Wie sehr beeinflussen die Gene das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Prof. Dr. Anna Köttgen: Wir wissen inzwischen, dass es sich bei Typ-2-Diabetes und bei vielen Herz-Kreislauf-Erkrankungen um so genannte komplexe Erkrankungen handelt, deren Risiko sowohl vom individuellen Lebensstil als auch von vielen verschiedenen Genen beeinflusst wird. Die NAKO ist ideal dafür geeignet, um wichtige Daten aus Deutschland zur Beantwortung dieser Frage zu liefern. Wir sind sehr froh, dass wir neben einer umfangreichen Erfassung von Lebensstil und Umweltfaktoren genetische Untersuchungen durchführen dürfen und können. In Bezug auf Diabetes Typ 2 gibt es ähnlich große Studien in anderen Ländern, deren Ergebnisse darauf hindeuten, dass der genetische Einfluss bei rund zwanzig Prozent liegt. Solche Schätzungen können aber je nach untersuchter Bevölkerungsgruppe und den jeweiligen Lebensstilfaktoren stark variieren, daher sind die NAKO-Untersuchungen so bedeutsam. Wichtig ist zu erwähnen, dass auch bei einer vererbten Veranlagung für Typ-2-Diabetes eine Änderung des Lebensstils, etwas mehr körperliche Aktivität oder der Nikotinverzicht, einen positiven Einfluss hat.

Henrik Schwiedeßen: Aufklärungskampagnen und öffentliche Gesundheitsprogramme versuchen, das Bewusstsein für Prävention zu stärken. Wie wirksam sind solche Maßnahmen, und was könnte verbessert werden, um die Bevölkerung besser zu erreichen?

Dr. Jasmin Kiekert: Präventive Maßnahmen richten sich an das Individuum, an jeden Einzelnen und jede Einzelne. Ich glaube, dass viele Menschen wissen, wie gesunde Ernährung aussehen sollte, diese Maßnahme jedoch aufgrund individueller Faktoren häufig im Alltag nicht umgesetzt werden kann. Einerseits spielen ökonomische Faktoren eine Rolle, aber auch die Organisation unseres Alltages hat sich verändert. Kochen mit frischen Zutaten hat bei Vollberufstätigkeit nach einem langen Arbeitstag oft keine hohe Priorität mehr. Die permanente Verfügbarkeit von leeren Kalorien, von viel Zucker und Fett, ist verführerisch. Doch letztlich ist sie teuer: Den Preis zahlen die Menschen, die dadurch krank werden, deren Lebensqualität damit eingeschränkt wird. Doch auch die Gesellschaft zahlt einen hohen Preis, nämlich mit der Finanzierung des Gesundheitswesens. Wenn Sie mich fragen, wie wir Menschen besser erreichen können, dann, indem wir ein Bewusstsein für den nicht-monetären Preis unseres Lebensstils schaffen. Des Weiteren können wir junge Menschen mittels Social Media für diese Themen sensibilisieren und Präventionsangebote und Aufklärung auch in Fremdsprachen vermehrt zur Verfügung stellen. Außerdem könnten Krankenkassen Anreize für ein gesundes Verhalten schaffen.

Henrik Schwiedeßen: Alkoholkonsum wird oft unterschätzt, kann aber die Entstehung von Herz- Kreislauf-Erkrankungen begünstigen. Welche Mengen gelten als gesundheitlich unbedenklich und wo beginnt ein gesundheitsschädlicher Konsum?

Dr. Jasmin Kiekert: Wie bei allem gilt es, Maß zu halten. Ein bewusster Alkoholkonsum ist jedoch ganz besonders im Hinblick auf das Diabetes-Risiko wichtig. Die Blutzuckerwerte steigen durch den Konsum von Alkohol an und können zu einer Schädigung der Nerven beitragen. Alkohol wirkt sich negativ auf die Leber aus und kann bei hohem Konsum zu einer alkoholbedingten Fettleber führen, die in eine Leberzirrhose übergehen kann. Die neuesten Studien weisen darauf hin, dass es keine gesundheitlich ganz unbedenkliche Menge Alkohol gibt. Lassen Sie mich noch kurz auf das Herz und die Herzgesundheit eingehen, wobei hier auch no ch viele Fragen offen sind. Der Rhythmus des Herzens wird durch elektrische Impulse gesteuert. Nach aktuellem wissenschaftlichem Stand verändert Alkohol die Leitungseigenschaften des Organs. Das Herz wird im Hinblick auf die elektrischen Impulse instabiler, Vorhofflimmern und weitere Störungen des Herzrhythmus können sich entwickeln. Sogar kleine Mengen Alkohol können, wenn sie regelmäßig konsumiert werden, ein solches Vorhofflimmern begünstigen. Alkohol führt insgesamt zu einer Vergrößerung des Herzens bei gleichzeitiger Schwächung der Pumpleistung. 

Henrik Schwiedeßen: Langzeitstudien wie die NAKO-Gesundheitsstudie liefern wichtige Daten für die Präventionsforschung. Wie können diese Daten konkret genutzt werden, um Volkskrankheiten besser vorzubeugen?

Dr. Jasmin Kiekert: Vorbeugung beginnt mit dem Wissen um den schädlichen Einfluss äußerer Faktoren, das heißt des Lebensstils. Darüber hinaus sind genetische Faktoren, wie bereits erwähnt, von Relevanz. Je mehr wir darüber erfahren, in welchen Zeiträumen sich Veränderungen im Körper entwickeln, umso zielgerichteter lassen sich Aussagen und Prognosen zu Verläufen von Erkrankungen gesichert treffen – und punktgenaue vorbeugende Maßnahmen entwickeln. Wir können die Daten nutzen, um beispielsweise mehr Informationen über das Ausmaß an Bewegung, über das Gewicht, aber auch über genetische Veranlagung in der Früherkennung lebensverändernder Erkrankungen zu gewinnen. Im europäischen Vergleich bewegen wir uns in Deutschland leider nur im Mittelfeld, was effektive Präventionsmaßnahmen angeht. Andere Länder, wie die skandinavischen Staaten oder auch Großbritannien, sind hier deutlich weiter.

Henrik Schwiedeßen: Welche innovativen Technologien gibt es bereits, um das Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu minimieren?

Prof. Dr. Anna Köttgen: Es gibt inzwischen viele Apps zur Förderung von gesundem Verhalten. Schon eine Schrittzähler-App kann als Ansporn für mehr körperliche Bewegung dienen. Aber auch im Bereich Sport und Ernährung gibt es eine Vielzahl digitaler Anwendungen, die zu einer Verhaltensänderung motivieren können, um damit gesundheitliche Risiken zu minimieren. In der NAKO untersuchen wir bei einem Teil der Teilnehmenden ebenfalls zusätzliche Technologien, zum Beispiel ein Akzelerometer zur Erfassung der körperlichen Aktivität oder einen mobilen Sensor, der den Zuckerspiegel im Blut kontinuierlich erfassen kann. Es ist eines der erklärten Ziele der NAKO, zu erforschen, wie der Einsatz solcher Technologien einen Beitrag zur Prävention von Volkskrankheiten leisten kann.

Henrik Schwiedeßen: Soziale Faktoren wie Einkommen, Bildung und Wohnverhältnisse beeinflussen die Gesundheit maßgeblich. Wie können politische und gesellschaftliche Maßnahmen dazu beitragen, gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren?

Dr. Jasmin Kiekert: Ich glaube, dass es zunächst ein Bewusstsein dafür geben muss, dass es diese Ungleichheiten überhaupt gibt. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Der fettreiche Schweinebraten, ein Kilo für 7,99 Euro beim Discounter im Angebot, ist im Vergleich zum Rumpsteak vom regionalen Metzger für 34,99 Euro pro Kilo schon ein wesentlicher  Anhaltspunkt. Mit „gutem“ Fleisch ist ein Preis assoziiert, den man sich leisten können muss. Viele Fertiggerichte, Tiefkühl-Pizzen, Pommes und Ähnliches, sind günstig, aber aufgrund eines hohen Zucker- und Kohlenhydratgehalts sehr ungesund. Frischer Fisch und Käse sind bei guter Qualität deutlich teurer als Tiefkühlware oder verpackt aus dem Selbstbedienungsbereich. Frisches Obst und Gemüse sind nicht nur teurer geworden, sondern sie müssen ja auch zubereitet werden – und man muss wissen, wie man sie zubereitet. Gleichzeitig dürfen die kulturellen Aspekte nicht außer Acht gelassen werden. Hier gibt es Unterschiede in der Zubereitung der  Speisen, wie etwa das Frittieren, die zu berücksichtigen sind und sensibel thematisiert werden müssen.

Henrik Schwiedeßen: Gesetzliche Vorgaben und gesundheitspolitische Initiativen können das Verhalten der Bevölkerung beeinflussen. Welche politischen Maßnahmen könnten dazu beitragen, die Prävention von Volkskrankheiten zu stärken? 

Dr. Jasmin Kiekert: Für mich persönlich würde beispielsweise eine Zuckersteuer, wie sie in Großbritannien bereits 2018 eingeführt wurde, dazu führen, dass Soft- und Energydrinks deutlich weniger konsumiert werden. In einer Studie aus dem Jahr 2023 hat sich gezeigt, dass durch eine solche Zuckersteuer tausende Typ-2-Diabetes-Fälle verhindert werden können. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Süß muss unattraktiver werden und dies kann durch deutlich höhere Preise funktionieren. Gleichzeitig ist es wichtig, bereits in den Kitas und Schulen das Thema Gesundheit zu verankern und entsprechende Angebote in den Unterricht zu integrieren. Eine gesundheitspolitische Initiative sollte in ein gesamtpolitisches Konzept integriert sein, das über den Bereich Gesundheit hinausgeht und auch soziale Faktoren wie Bildung und Einkommen mit in die Betrachtung einbezieht. 

Henrik Schwiedeßen: Das war ein sehr ausführliches und informatives Interview. Vielen Dank hierfür.

Dr. Jasmin Kiekert: Sehr gerne. Über dieses Thema sollte man sehr ausführlich und aufklärend sprechen.

Dr. phil. Jasmin Kiekert, geboren am 14.08.1979, ist eine deutsche Versorgungsforscherin mit Schwerpunkt in der gerontologisch-geriatrischen Versorgungsforschung. Sie studierte an der Katholischen Hochschule Freiburg Soziale Arbeit und Dienstleistungsentwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen und schloss 2014 mit dem Master ab. 

Von 2014 bis 2023 arbeitete sie am Institut für Angewandte Forschung an der Katholischen Hochschule Freiburg in verschiedenen Projekten zur Versorgungssituation ältere Menschen mit und ohne Pflegebedarf. Im Jahr 2023 wurde sie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg promoviert. 

Seit 2024 leitet sie das NAKO-Studienzentrum mit annähernd 8000 Studienteilnehmer*innen, dass am Institut für Prävention und Tumorepidemiologie am Universitätsklinikum Freiburg angesiedelt ist. 

Ihre Forschungsinteresse umfasst die gesundheitliche Versorgung älterer Menschen unter intersektionalen Aspekten der sozialen Ungleichheit.